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Die 231 K 22 der
SNCF
Als größte
französische Privatbahn ging die „Compagnie de chemins de fer Paris à
Lyon et à la Méditeranée“, kurz PLM, im Jahre
1938 in der neu gegründeten SNCF auf. Ihr Streckennetz beherrschte das
Stromgebiet der Rhône, die ganze Provence, den Verkehr
nach der Schweiz und Italien sowie nach dem Mittelmeer.
Wie bei vielen
europäischen Bahnverwaltungen kam auch bei der PLM im Schnellzugverkehr
Anfang des 20. Jahrhunderts die
Pacific-Bauart zur Anwendung. Ab 1909 kamen nicht weniger als 462
Pazific-Lokomotiven unterschiedlicher Bauart bei der PLM in
Betrieb, was knapp einem Drittel aller in Frankreich eingesetzten
Pazifics entsprach. Technisch wie optisch gehörten die PLM-
Pazifics zu den herausragendsten Lokomotiven überhaupt.
Zunächst
unternahm die PLM noch Vergleichsversuche mit einfacher Dampfdehnung,
als Zwillings- und Vierlingstyp, und mit
Verbundwirkung. Erst im Zusammenhang mit der Dampfüberhitzung konnte
sich die Verbundbauart ab 1913 überzeugend
durchsetzen, so daß bereits gelieferte Lok umgebaut wurden. Obwohl die
Grundkonstruktion im Beschaffungszeitraum bis 1932
weitgehend gleich blieb, wurden nachfolgende Serien im Detail verändert
und auch die Betriebslok nachgebessert. Auf Empfehlung
des bedeutenden Dampflokkonstrukteurs Chapelon wurde eine Lok mit einem
neuen Kessel mit 20bar Betriebsdruck ausgerüstet, der
allgemein eingeführt werden sollte. Der Übergang zur SNCF verhinderte
dies und es wurden lediglich 30 Lok damit ausgerüstet.
Dennoch wurden bis 1949 weitere 248 Lok zwar nicht durch Chapelon
selbst, aber nach seinen Grundsätzen modernisiert. Ziel und
Ergebnis dieser Maßnahmen war eine deutliche Leistungssteigerung bei
größerer Wirtschaftlichkeit. Dennoch kamen sie nicht an die
Werte der von Chapelon selbst umgebauten Pacifics anderer
Bahnverwaltungen heran. Die verschiedenen Serien und Umbaulok
wurden ab 1925 bei der PLM bzw. ab 1938 bei der SNCF als 231A bis 231K
bezeichnet. Eine ausführliche Darstellung würde hier zu
weit führen.
Wegen der
Elektrifizierung der PLM-Hauptstrecke wurden die Lok Anfang der 50er
Jahre in andere Regionen verdrängt. Dennoch
waren sie bis zum Dampfende in Frankreich unentbehrlich.
Die zwei ersten
Pacific-Prototypen entstanden 1909 in den PLM-Ateliers in Paris. Doch
schon 1911 lieferte auch Henschel in Cassel
eine Serie von 30 Lok der späteren Reihe 231-A, der 1912 weitere 20 Lok
der späteren Serie 231-C folgten. Kriegsbedingt konnte die
PLM dann nicht mehr beim Feind bauen lassen. So entstanden die nächsten
Serien ausschließlich bei französischen Herstellern.
Darunter war auch die für uns interessante Serie PLM 6221 bis 6245 der
Chantiers de la Loire von 1916/17. Als zweite Lok entstand
1916 unsere Museumslok, die zunächst die PLM-Betriebsnummer 6222
erhielt. Im Januar 1925 wurde sie in 231-C-22 umgezeichnet.
Bei der PLM war
die 231-C zunächst mit einem dreiachsigen, 25cbm Wasser und 8t Kohle
fassenden Tender gekuppelt. Später
erhielten die Lok Drehgestelltender mit einem Fassungsvermögen 28 oder
30cbm Wasser und 7t Kohle. Im Sommer 1913 wurden
mehrere Versuchsfahrten mit der 231-C auf unterschiedlichen Strecken
unternommen. Dabei wurde eine größte Zughakenleistung
von 2425PS gemessen und Geschwindigkeiten bis 142km/h erreicht.
Als 231-C lief
unsere „22“ die gesamte PLM-Zeit vom Depot Avignon aus nach Lyon,
Marseille, Nîmes und Sète und hatte dabei
meist Schnellzüge bis hin zum legendären „Train Bleu“ am Haken. Nach
Gründung der SNCF 1938 gab es keine wesentlichen
Veränderungen und auch während des Krieges blieb die Magistrale durch
das Rhônetal zwischen Lyon und Marseille ihr
Haupteinsatzgebiet. Erst nach dem Umbau zur 231-K im Jahre 1948 kam es
zur Umbeheimatung der „22“ nach Dijon. Wiederum
wurde, nunmehr in südlicher Richtung, Lyon angefahren. Weitere Ziele
waren Chalindroy, Paris und Perrigny. Am 1.1.1952 finden
wir die 231-K-22 bereits in einer Bestandsliste der Region Nord beim
Depot Tergnier. Auffällige Änderung ist die Kupplung mit dem
Nordbahntender, den sie heute noch hat. Von Tergnier aus läuft sie nach
Aulnoye, über Amiens nach Boulogne, nach Jeumont, Paris
und Reims sowie über Cambrai oder Douai nach Lille. Anfang 1958
befördert sie die Schnell- und Expesszüge Paris-Jeumont, Lille-
Reims und Paris-Laon-Hirson. Beim Depot Tergnier erlebte 231-K-22 ihren
bedeutendsten Einsatz, der zuletzt auch mit dafür
verantwortlich war, daß die Lok erhalten wurde. Anläßlich des
Staatsbesuchs des russischen Präsidenten im April 1960 bespannte
231-K-22 mit Flaggenschmuck den Staatssonderzug. Im Jahre 1963 erfolgte
die Umbeheimatung zum Depot Calais. Unterbrochen
von einer kurzen Einsatzzeit beim Depot Boulogne zwischen Oktober 1965
und April 1967 wird sie hier bis zu ihrer
Außerdienststellung im hochwertigen Verkehr im Einsatz bleiben.
Hauptsächlich befördert die 231-K zusammen mit den
schokoladenbraunen Nordbahn-Pacifics die Schnellzüge, einschließlich des
bekannten „Flèche d’Or“, zwischen Calais und Amiens.
Der Plandienst endete am 11. Januar 1969, an dem sie nochmals mit ihrer
ebenfalls erhaltenen Schwesterlok 231-K-82 den „Flèche
d’Or“ bespannte. Die endgültige Abstellung kam am 1.4.1969 und am
12.11.1969 erfolgte die Ausmusterung.
Zu dieser Zeit
trägt sich der leider verstorbene englische Eisenbahnsammler Dr. Peter
L. Beet - der seit dem Gründungsjahr Mitglied
im SEH war - mit dem Gedanken, bedeutende Schnellzuglokomotiven des
Kontinents zu erwerben. In Frankreich fällt die Wahl auf
231-K-22, die 1970 per Schiff von Le Havre aus nach Southampton in
England verfrachtet wird. Die neue Heimat wird das
„Steamtown“-Museum in Carnforth in der Grafschaft Lancashire.
Gelegentlich wird die Lok noch angeheizt, kann aber wegen ihres
für Großbritannien zu großen Lichtraumprofils nur innerhalb des Museums
eingesetzt werden. Gut 25 Jahre später,,als sich
„Steamtown“, das zeitweise größte Eisenbahnmuseum der Insel, in der
Auflösung befand, geben sich die Interessenten vor Ort „die
Klinke in die Hand“. Zunächst landeten wir auf Platz zwei in der Liste.
Aber nach langem, für den Eigentümer und für uns
unangenehmen Hin und Her mit Dritten konnten wir die 231-K-22 zusammen
mit 01 1104 und 80 014 für unsere Sammlung
erwerben. Da zu dieser Zeit das SEH nur ein Gedankenspiel war, wurden
beide Pacifics zunächst in Nördlingen untergestellt. Im
August 2001 wurden sie schlußendlich nach Heilbronn überführt. (JB)
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